Bach und sein musikalisches Erbe
Werke von August Wilhelm Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, dem Merseburger Domorganisten David Hermann Engel u.a.
August Wilhelm Bach – Organist, Lehrer und Commissarius in der Königlichen Orgelbaudeputation in Preußen
d. 3 ten des Wonnemonates 1821
Was sagt der Küster, lieber Hr. Bach ? Können wir heute Nachmittag spielen ? Giebt es keine Hochzeit ? keine Einsegnung ? Haben Sie die Güte mir durch Ueberbringer dieses auf meine vielen Fragen Antwort sagen zu lassen. Ist nun von allen diesen Dingen heute keine Störung zu befürchten, so stehe ich um Puncto 4 an dem Thurm, mit meiner Schwester, (wie sie es erlaubt haben) Grüßen Sie doch Praeludium und Fuge aus g moll. Ich schwitze jetzt über einer Orgelfuge die nächster Tage zur Welt kommen wird. Allen Principalpfeifen meinen herzlichen Gruß
Ihr ergebener
F.(elix) Mendelssohn
So schreibt Felix Mendelssohn Bartholdy an seinen Orgellehrer August Wilhelm Bach. Nicht verwandt mit der Bachfamilie aus Thüringen, wirkte der Schüler von Carl Friedrich Zelter, seit 1815 Mitglied der Berliner Singakademie, ab 1816 als Organist an der Berliner St. Marienkirche. Von 1819 bis 1820 hatte er noch Unterricht bei Michael Gotthard Fischer in Erfurt und war somit ein Urenkelschüler Johann Sebastian Bachs. Im Jahr 1826 wurde er zum Commissarius in der Königlichen Orgelbaudeputation zur Überwachung der Orgelbauvorhaben in Preußen ernannt.
So initiierte er beispielsweise die Restaurierung der Joachim-Wagner-Orgel in der Marienkirche zu Berlin durch Carl August Buchholz im Jahre 1829. Das Instrument wurde nach verschiedenen Änderungen weitgehend auf den Originalzustand zurückgebracht, ein großartiges Beispiel für die Restaurierung eines historischen Instrumentes.
August Wilhelm Bach: Einleitung zu Bachs Fuge in g-Moll, BWV 542, 2
August Wilhelm Bach (1796-1869) versah die großen Fugen Johann Sebastian Bachs mit eigenen Introduktionen. Die Einleitung zu Bachs Fuge in g-Moll, BWV 542, 2 eröffnet das Konzert.
Felix Mendelssohn Bartholdy: Sonate op. 65 Nr. 6 d-Moll
Felix Mendelssohn komponierte im Laufe seines Lebens eine große Anzahl von Orgelstücken. Zwischen 1844 und 1845 wählte er eine Reihe dieser Stücke aus, überarbeitete sie gewissenhaft und stellte daraus unter Hinzuziehung neu komponierter Teile «Sechs Sonaten» op. 65 für Orgel zusammen, die 1845 zeitgleich in London und Leipzig erschienen. Drei dieser Sonaten nehmen auf unterschiedliche Weise auf Choralmelodien Bezug. Die Sonate Nr. 6 in d-Moll ist eine der «choralgebundenen» Sonaten. Ihr liegt das Lutherlied «Vater unser im Himmelreich» zu Grunde. Den ersten Teil der Sonate bildet eine Folge von vier Variationen, die von einem einfachen Choralsatz eingeleitet werden. Dem Satz liegt der Gedanke der barocken Partita zu Grunde. Allerdings sind die Variationen miteinander verbunden, so dass hier der Übergang von der Choralpartita zur Choralfantasie erkennbar ist. Eine Fuge mit einem aus dem Choral abgeleiteten Thema schließt sich an, bevor ein leiser, getragener Finalsatz das Werk beschließt. Die sechs Sonaten bilden einen wichtigen, richtungsweisenden Höhepunkt in der gesamten Orgelliteratur des 19. Jahrhunderts.
Adolph Friedrich Hesse (der schlesische Bach): Variationen A-Dur über ein Originalthema op. 47
Adolph Friedrich Hesse wurde 1809 in Breslau geboren. Seine Lehrer waren die Breslauer Organisten Friedrich Wilhelm Berner und Ernst Köhler. 1831 wurde Hesse erster Organist an der Bernhardinkirche. Den Beinamen «der schlesische Bach» erhielt er für seinen unermüdlichen Einsatz um die Orgelwerke Johann Sebastian Bach. Hesse zählte in Deutschland zu den bedeutenden Organisten seiner Zeit und erregte in Paris und London Aufsehen durch sein virtuoses Pedalspiel. Zu seinen Schülern zählt Jacques-Nicolas Lemmens, der Lehrer von Alexandre Guilmant und Charles-Marie Widor. Hesse starb am 5. August 1863 in seiner Heimatstadt Breslau. Hesse hinterließ eine Vielzahl von Orgelwerken. Seine Variationen A-Dur über ein Originalthema op. 47 sind ein typisches Beispiel für die deutsche Orgelliteratur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
David Hermann Engel: Fantasie und Fuge g-Moll op. 16
Der 1816 in Neuruppin geborene Engel wurde 1835 in Dessau Schüler des dortigen Hofkapellmeisters Johann Christian Friedrich Schneider. Darüber hinaus studierte er bei dem Breslauer Organisten und Urenkelschüler J. S. Bachs Adolph Friedrich Hesse. Ab 1841 wirkte er als Musiklehrer in Berlin und wurde schließlich 1848 als Nachfolger von August Gottfried Ritter zum Merseburger Domorganisten berufen. Gleichzeitig übte er das Amt eines königlichen Orgelrevisors aus und lernte u.a. die Instrumente des in Weißenfels ansässigen Friedrich Ladegast kennen und schätzen, und sorgte dafür, daß dieser die neue Orgel im Dom erbauen konnte. Engels Fantasie und Fuga in g-Moll steht ganz in der Tradition der Kompositionen seines Lehrers Adolph Friedrich Hesse und erinnert besonders in der Struktur des Fugenthemas an Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen 1846 bei Breitkopf erschienene Sonaten einen besonderen Höhepunkt in der Entwicklung der deutschen Orgelmusik nach J. S. Bach darstellen.
In der handwerklich geschickt gearbeiteten Fantasie sind 5 dynamische Stufen angegeben, die man mühelos auf die 4 Manuale der Domorgel verteilen kann: ff = Hauptwerk, f = Oberwerk, mf = Rückpositiv, p = Brustwerk (Schwellwerk geöffnet) pp (Echo) = Brustwerk (Schwellwerk geschlossen). Die sogenannte Fuge löst sich nach einer einzigen Durchführung in ein fantasieartiges Figurenwerk auf, welches durch alle Stimmen wandert. Erst am Ende kehrt das an Mendelssohn gemahnende Fugenthema wieder, nun in einer Engführung zwischen Sopran und Bass. Die nur viertaktige Kadenz schließt das Stück ab.
Johann Sebastian Bach: «Vor deinen Thron tret‘ ich hiermit» BWV 668
Die Achtzehn Choräle von verschiedener Art, auch Leipziger Choräle genannt, stellte Johann Sebastian Bach in seinen letzten Lebensjahren zusammen, mit der Absicht, sie im Druck erscheinen zu lassen. Die Sammlung enthält Choralbearbeitungen für Orgel mit zwei Manualen und Pedal. Der letzte Choral, «Vor deinen Thron tret’ ich hiermit» ist wohl am bekanntesten; er wurde unter dem Choral «Wenn wir in höchsten Nöten sein» von den Herausgebern in die Kunst der Fuge integriert.
Johann Sebastian Bach: Passacaglia c-Moll BWV 582
Die wohl wichtigsten Impulse für seine Beschäftigung mit dem Orgelwerk Johann Sebastian Bachs erfuhr Franz Liszt in seinen Weimarer Jahren als Hofkapellmeister von 1843 bis 1861, war doch gerade hier in Thüringen, dem Geburtsland Bachs, dessen Werk bewahrt und gepflegt worden. Hier war auch Johann Gottlob Töpfer, geboren 1791, ausgebildet in Weimar und ab 1830 Stadtorganist und Orgelsachverständiger, eine wichtige Inspirationsquelle für Liszt. Auf Anregung Franz Liszts erarbeitete Töpfer einige, der Klangsprache des 19. Jahrhunderts entsprechende Registrierungen für Bachsche Werke. Hierzu gehört auch die Passacaglia c-Moll BWV 582. Entgegen der bisher üblichen Praxis, das Stück in einer am organo pleno (volles Werk) orientierten Registrierung zu spielen, instrumentiert Töpfer die Passacaglia, die nun vom leisesten pp und ausgewählten, meist grundtönigen Registrierungen ausgehend in das organo pleno der Fuge mündet.
Michael Schönheit
Michael Schönheit, geboren in Saalfeld, erhielt seine erste musikalische Ausbildung bei seinem Vater Walter Schönheit und war Mitglied der Thüringer Sängerknaben. Von 1978-1985 studierte er Dirigieren, Klavier und Orgel an der Hochschule für Musik «Felix Mendelssohn Bartholdy». 1984 wurde er Preisträger des Internationalen Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerbs in Leipzig.
Von 1985 bis 1991 war er als Organist und Kantor in Saalfeld tätig. 1986 wurde er zum Gewandhausorganisten berufen. Hier umfasst sein Wirkungsbereich die Gestaltung der Gewandhaus-Orgelkonzerte, thematischer Zyklen, die Mitwirkung in den Gewandhaus-Kammermusiken sowie Auftritte als Solist mit dem Gewandhausorchester.
Seit 1994 ist Michael Schönheit künstlerischer Leiter der Merseburger Orgeltage, die sich zu einem der führenden Orgelfestivals in Deutschland entwickelt haben. Seit 1996 ist Schönheit zudem Domorganist in Merseburg.
Im Jahre 1998 gründete er das Ensemble Merseburger Hofmusik, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Musik vom 17. bis zum 19. Jahrhundert auf Instrumenten historischer Mensur zu spielen.
Von 1998 bis 2005 leitete Michael Schönheit den Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg.
Michael Schönheit ist darüber hinaus ein gefragter Gastorganist. Seine Konzerttätigkeit erstreckt sich über die europäischen Länder hinaus bis in die USA und nach Japan.
Auf zahlreichen Festivals ist Michael Schönheit regelmäßig zu Gast. Am 9. April 2019 gastierte er erstmals in Notre- Dame de Paris. Im August desselben Jahres debütierte er bei den Proms der BBC mit einem Bachprogramm in der Royal Albert Hall, London.
Als Solist gastierte er neben dem Gewandhausorchester bei so renommierten Orchestern wie der Sächsischen Staatskapelle Dresden, den Münchner Philharmonikern, dem Konzerthausorchester Berlin, der Dresdner Philharmonie, dem Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom, dem New York Philharmonic Orchestra, dem DR SymfoniOrkestret (DRSO) Kopenhagen u.v.a.
Bei zahlreichen internationalen Wettbewerben ist er als Jurymitglied tätig.
Neben seiner Tätigkeit als Organist und Ensembleleiter widmet sich Schönheit seit vielen Jahren dem historischen Hammerklavier. Er spielt einen historischen Hammerflügel der Firma John Broadwood aus dem Jahre 1805 und einen Hammerflügel von Franz Bayer Wien aus der Zeit um 1825.
Rundfunk-, Fernseh- und CD-Produktionen ergänzen sein vielseitiges künstlerisches Wirken. So erschienen in den Jahren 2005 und 2006 bei MDG viel beachtete CDs mit Werken von J. S. Bach,
F. Liszt, J. Reubke und M. Reger auf der großen Ladegast-Orgel im Merseburger Dom. Zum 200. Geburtstag von Friedrich Ladegast im Jahre 2018 folgte die Veröffentlichung des historischen Konzertprogramm von 1855 zur Einweihung der Merseburger Domorgel Friedrich Ladegasts bei dem Verlag Querstand in Altenburg. 2010 erschien bei Decca die Einspielung der Sechs Brandenburgischen Konzerte von Bach mit dem Gewandhausorchester unter Riccardo Chailly, bei der Schönheit den Cembalo-Solopart des 5. Brandenburgischen Konzertes übernahm.
Mit der Merseburger Hofmusik erschien im Jahre 2013 beim Verlag Querstand die Gesamteinspielung des Orchester- und Kantatenwerkes von Johann Ludwig Krebs, es folgten 2016 die Veröffentlichung von Joseph Haydns Oratorium «Schöpfung», des Requiems op. 144b von Max Reger und des «Deutschen Requiems» von Johannes Brahms auf Originalinstrumenten. Schließlich erschien 2018 zum 20-jährigen Bestehen der Merseburger Hofmusik und dem 25-jährigen Bestehens des Collegium Vocale Leipzig eine sehr gelobte Einspielung der Hohen Messe h-Moll von Johann Sebastian Bach unter der Leitung von M.Schönheit. Weitere Einspielungen folgten. Im Jahr 2022 erscheint beim Label cpo die Gesamteinspielung der Kantaten des in Merseburg wirkenden Domorganisten und Kapellmeisters Georg Friedrich Kauffmann (1679-1735).
Für seine Verdienste um die Restaurierung der Merseburger Domorgel und die Entwicklung der Merseburger Orgeltage zu einem Festival von hohem Rang wurde Michael Schönheit
im Jahre 2015 mit dem Verdienstorden des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet.